Rekord-Insolvenzen: Alarmstufe im Mittelstand

Rekord-Insolvenzen: Alarmstufe im Mittelstand
23.900 Firmenpleiten. 285.000 bedrohte Jobs. Ein Land, das sein wirtschaftliches Fundament verliert © Presse.Online

Deutschland vor der Insolvenzwelle: Warum 23.900 Firmenpleiten ein Alarmsignal sind

Deutschland steuert auf die höchste Zahl an Unternehmensinsolvenzen seit mehr als einem Jahrzehnt zu. Die neuen Daten der Wirtschaftsauskunftei Creditreform markieren eine gefährliche Trendwende besonders für den Mittelstand, das Rückgrat der deutschen Wirtschaft.

Ein Erdbeben im Mittelstand

Die Fakten sind eindeutig: 23.900 Insolvenzen werden für 2024 erwartet ein Plus von rund 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr (Quelle: Creditreform). 285.000 Arbeitsplätze sind dadurch verloren oder akut bedroht. Der wirtschaftliche Schaden: nahezu 60 Milliarden Euro. Besonders hart trifft es Betriebe mit 11 bis 50 Beschäftigten, deren Insolvenzen laut Creditreform im ersten Halbjahr um 17 Prozent stiegen.

Diese Zahlen sind kein Betriebsunfall, sondern Ausdruck einer strukturellen Schieflage. Eine Umfrage des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) zeigt: Fast 70 Prozent der Industrieunternehmen planen in den nächsten drei Jahren eine teil- oder vollständige Produktionsverlagerung ins Ausland. Als Gründe nennen sie hohe Energiepreise, internationale Wettbewerbsnachteile und geopolitische Risiken.

Analyse: Wo Politik und Realität auseinanderdriften

Deutschland nennt sich gerne „Mittelstandsland“. Doch viele Rahmenbedingungen haben sich in den vergangenen Jahren gegen jene gewendet, die Arbeitsplätze schaffen. Energieintensive Branchen kämpfen mit Kosten, die international kaum wettbewerbsfähig sind. Der gleichzeitige Ausstieg aus Kohle und Kernkraft lange politisch gewollt setzt Unternehmen weiter unter Druck, solange Ersatzkapazitäten nicht zuverlässig verfügbar sind.

Hinzu kommt ein Faktor, der sich schwerer beziffern lässt, aber in nahezu jeder Unternehmensumfrage auftaucht: Bürokratie. Gründer berichten seit Jahren, dass Verwaltungsvorgänge länger dauern und komplexer werden. Genehmigungsprozesse verzögern Investitionen, Berichtspflichten binden Ressourcen, die kleinen Betrieben fehlen.

Diese Kombination aus Kosten, Unsicherheit und administrativer Last erzeugt eine Stimmung der Vorsicht in einigen Branchen sogar der Resignation.

Reformen angekündigt, aber nicht umgesetzt

Politisch ist die Lage prekär. Obwohl Kanzler Friedrich Merz im Wahlkampf tiefgreifende Strukturreformen angekündigt hatte und Koalitionsvertreter mehrfach von einem „Herbst der Reformen“ sprachen, folgte bislang eher ein Herbst der sozialen Ausgaben. Große Entlastungspakete etwa für die Rente dominieren die politische Debatte.

Strukturelle Maßnahmen, die Energiepreise, Standortbedingungen oder Bürokratiekosten senken könnten, wurden dagegen vertagt oder in Kommissionen verschoben.

Viele Wirtschaftsexperten schlagen Alarm. Der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Jens Südekum warnte zuletzt, Deutschland laufe Gefahr, seine industrielle Basis „langfristig zu verlieren“, wenn nicht zeitnah klare Standortentscheidungen getroffen würden. Auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) spricht von einer „gefährlichen Reformmüdigkeit“.

Kulturelle Dimension: Eine erschöpfte Leistungsgesellschaft?

Neben den harten Fakten gibt es eine weiche, kulturelle Komponente: Die gesellschaftliche Wertschätzung für unternehmerisches Risiko sinkt. Unternehmensverbände berichten über einen wachsenden Vertrauensverlust und über eine steigende Erwartungshaltung gegenüber staatlichen Leistungen bei gleichzeitig wachsender Skepsis gegenüber Leistung und Eigenverantwortung.

Ob diese Entwicklung Ursache oder Folge der wirtschaftlichen Schieflage ist, bleibt umstritten. Klar ist jedoch: Sie verstärkt die Krise.

Fazit

Wenn Deutschland die drohende wirtschaftliche Abwärtsspirale stoppen will, braucht es zweierlei: schnelle Reformen bei Energie, Bürokratie und Infrastruktur und eine Renaissance der Leistungsbereitschaft, die Unternehmertum nicht als Risiko, sondern als Wert erkennt.

Noch lässt sich der Trend umkehren. Aber die Zeit läuft.

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FAQ

Warum steigen die Insolvenzen in Deutschland so stark?

Hauptgründe sind hohe Energiepreise, geopolitische Unsicherheiten, steigende Finanzierungskosten und eine verschärfte Bürokratie. Viele Unternehmen haben zudem ihre finanziellen Rücklagen aus der Pandemie aufgebraucht.

Warum trifft die Krise besonders kleine und mittelständische Betriebe?

KMU können Kostensteigerungen schlechter abfedern. Ihnen fehlen häufig Kapitalpolster und spezialisierte Rechts- oder Compliance-Abteilungen, um Bürokratie effizient zu bewältigen.

Wandern deutsche Unternehmen tatsächlich ins Ausland ab?

Laut BDI planen rund 70 Prozent der Industrieunternehmen eine Verlagerung von Teilen ihrer Produktion. Das betrifft vor allem energieintensive Branchen wie Chemie, Metall und Maschinenbau.

Was könnte die Politik kurzfristig tun?

Wirtschaftsverbände fordern unter anderem eine Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, eine Entlastung bei Energiepreisen und eine Modernisierung steuerlicher Rahmenbedingungen.

Quellenangaben

  1. Creditreform Wirtschaftsausblick: Prognose Insolvenzen, Schäden, Arbeitsplatzverluste

  2. BDI-Industrieumfrage: Standortverlagerungen, Energiepreisfaktoren

  3. DIHK-Konjunkturbericht (ergänzende Einordnung, öffentlich zugänglich)

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