Spahn und Wieler zur aktuellen Corona-Lage

Spahn und Wieler zur aktuellen Corona-Lage
RKI-Chef Wieler

Intensivmediziner fordern weiterhin ein schnelles Handeln gegen die dritte Welle

Berlin- Die Gesundheitsämter in Deutschland haben dem Robert-Koch-Institut (RKI) binnen eines Tages 29 426 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Zudem wurden innerhalb von 24 Stunden 294 neue Todesfälle verzeichnet. Die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner lag bundesweit bei 160,1.

Angesichts steigender Corona-Zahlen sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in der Bundespressekonferenz: „Die Infektionszahlen sind zu hoch und sie steigen weiter.“ Die Lage auf den Intensivstationen werde täglich schlimmer, sagte Spahn. „Die Zahl der Intensivpatienten liegt bei fast 5000.“ Intensivmediziner befürchten, sie könnte bis Ende des Monats auf 6000 ansteigen. Es sei absehbar, dass das Gesundheitssystem an den Rand seiner Kapazität gelangen werde, sagte Spahn.

Spahn appellierte an die Bundesländer, man solle nicht warten, bis der Bundestag die Bundesnotbremse kommende Woche beschließen werde. Es müssten vorher schon weitere Maßnahmen ergriffen werden. „Wir wissen aus dem Herbst, was passiert, wenn wir nicht rasch genug handeln.“ Was man jetzt möglicherweise versäume, räche sich in zwei, drei Wochen. „Jeder Tag zählt gerade in dieser schwierigen Lage“, sagte Spahn. Gegen ein exponentielles Wachstum der Infektionen könne man nicht animpfen. Man müsse die dritte Welle mit weiteren Einschränkungen brechen. Zuerst müsse man das Infektionsgeschehen in den Griff bekommen und die Zahlen senken. Erst dann könne man testgestützt öffnen.

RKI-Chef Wieler stimmte in der Bundespressekonferenz zu: „Klar ist, wir müssen jetzt handeln.“ Die steigende Zahl der registrierten Neuinfektionen liege nicht an vermehrten Tests. Auch der Anteil der positiven PCR-Testergebnisse habe in der vergangenen Woche bei etwa zwölf Prozent gelegen. Der Anteil der in Großbritannien entdeckten Corona-Mutante B.1.1.7 liege bei 90 Prozent, sagte Wieler. Er forderte die Politik zum Handeln auf: „Jetzt erwarte ich, dass die Entscheidungsträger uns alle unterstützen, die dritte Welle zu brechen.“ Es sei „naiv zu glauben, bei hohen Zahlen das Virus wegtesten zu können“, sagte der RKI-Präsident. „Wir müssen die Zahlen runterbringen.“

Wieler riet allen Kliniken, ihren Regelbetrieb einzuschränken, um Kapazitäten zur Behandlung von schwer kranken Patienten zu schonen. Es gebe jetzt schon in einigen Städten und Ballungsgebieten auf den Intensivstationen keine freien Betten mehr. „Und das ist eine Situation, in der wir mit mehr Patienten rechnen müssen.“ Stabile Kranke sollten deshalb aus Regionen mit akutem Bettenmangel rechtzeitig in weniger betroffene Regionen verlegt werden. Wegen der Schwere der Erkrankungen würden auf den Intensivstationen immer mehr künstliche Lungen benötigt, sagte der RKI-Präsident. Acht von zehn Geräten seien mit Covid-Patienten belegt. Darunter seien inzwischen auch viele jüngere Erwachsene.

Bis Ende April oder Anfang Mai könnten etwa 20 Prozent der Bevölkerung geimpft sein, sagte Spahn. Bis Gruppenimmunität über Impfungen erreicht sei, werde es bis ins dritte Quartal hinein dauern. So könne der Sommer besser werden als der Winter. Ob dann gleich schon wieder alle bis zu den Seychellen fliegen müssen, weiß ich nicht. Bis zur Nordsee wird man sicher kommen.“ Für die kommende Woche hätten 50 000 Arztpraxen Bedarf an Impfstoffen angemeldet.

Zur Debatte um Ausgangssperren sagte Spahn, er gehe nicht davon aus, dass die Maßnahme in der aktuellen Lage gegen die Verfassung verstoße. Er rechne zwar damit, dass die bundesweit angestrebte Notbremse vor dem Bundesverfassungsgericht landen werde, sagt Spahn in Berlin. Er gehe aber davon aus, dass der Schritt „als vorübergehende Maßnahme trägt“.

Den geplanten Stopp von Präsenzunterricht ab einer Corona-Inzidenz von 200 kritisierten Spahn und Wieler als unzureichend. „Aus meiner Sicht ist die 200er-Grenze zu hoch“, sagte Wieler. Je höher man die Schwelle setze, desto mehr Kinder werde man wegen Infektionen aus den Klassen nehmen und desto mehr ganze Klassen werde man zuhause lassen müssen. Spahn sagte mit Blick auf die Mutation B.1.1.7: „Gerade bei den Schulen, gerade mit den Erfahrungen, die wir mit dieser Mutation haben, kann ich mir auch deutlich früher als bei 200 diese Maßnahmen vorstellen – unbedingt.“

 

SZ/PSM, Foto: RKI-Chef Wieler © Screenshot Youtube Pressekonferenz