Die Stimmung in der Migrationspolitik kippt

Die Stimmung in der Migrationspolitik kippt
Die Chancen für eine europäische Asylreform stehen schlecht

Migration: Der Faktor Angst in der Flüchtlingskrise

Berlin. Migration und Flüchtlingskrisen sind komplex und multifaktorielle Phänomene, die von verschiedenen Gründen beeinflusst werden. Die Angst ist jedoch zweifellos ein wichtiger Faktor in diesem Kontext, da sie sowohl von den Migranten selbst als auch von der aufnehmenden Gesellschaft empfunden wird.

Für viele Migranten ist die Flucht aus ihrem Heimatland mit Ängsten verbunden, wie zum Beispiel der Furcht vor politischer Verfolgung, Gewalt oder Armut. Diese Ängste können dazu führen, dass sie ihr Land verlassen und in ein fremdes Land aufbrechen, um nach Sicherheit und Schutz zu suchen.

Auf der anderen Seite können Ängste auch bei den aufnehmenden Gesellschaften auftreten. Diese können sich beispielsweise um die Integration von Migranten in die Gesellschaft, um Sicherheitsbedenken oder um wirtschaftliche Belastungen durch die Aufnahme von Flüchtlingen drehen. Diese Ängste können zu einer ablehnenden Haltung gegenüber Migranten führen und die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen erschweren.

Es ist wichtig, die Ängste und Sorgen sowohl der Migranten als auch der aufnehmenden Gesellschaft ernst zu nehmen und angemessen darauf zu reagieren. Dazu gehören beispielsweise die Bereitstellung von Ressourcen und Unterstützung für Migranten bei der Integration in die Gesellschaft sowie die Förderung von Dialog und Verständnis zwischen Migranten und der aufnehmenden Gesellschaft.

Die Stimmung in der Migrationspolitik kippt

Die Bundesinnenministerin ist am Freitag mit ihren Amtskollegen in Berlin zu Gesprächen über die europäische Migrationspolitik zusammengekommen. Ministertreffen war ein großes Wort für die Veranstaltung, zu der Innenministerin Nancy Faeser eingeladen hatte, manche sprachen gar von einem Migrationsgipfel. Tatsächlich aber hat sich nur einziger Minister auf den Weg nach Berlin gemacht, in anderer ließ sich zuschalten, alle anderen schickten lediglich Staatssekretäre.

Sollte es bis zum Sommer keine Einigung über eine bessere Registrierung und Verteilung von Asylbewerbern in Europa geben, sehen Innenminister die Freizügigkeit im Schengen-Raum in Gefahr. Das Zeitfenster für eine umfassende Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) schließe sich im Sommer, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Freitag in Berlin nach einem Treffen mit Innenministern und Staatssekretären aus fünf weiteren EU-Staaten.

Bis dahin müssten sich die EU-Mitgliedstaaten einigen, damit anschließend noch Zeit für die Verhandlungen mit dem Parlament sei. Sollte eine Einigung nicht gelingen, „dann ist der Schengen-Raum mit offenen Binnengrenzen in großer Gefahr“, warnte sie. Das müssten sich alle im Europäischen Parlament und im Rat bewusst machen.

Auch Schweden sehe dieses Risiko, „aber keiner will, dass es so weit kommt“, sagte der schwedische Staatssekretär im Justiz- und Innenministerium, Anders Hall. Schweden hat aktuell die EU-Ratspräsidentschaft inne und übergibt den Staffelstab am 1. Juli an Spanien. Binnengrenzkontrollen müssten die Ausnahme bleiben, betonte der spanische Innenminister Fernando Grande-Marlaska. Für Spanien sei die Freizügigkeit im Schengen-Raum ein wichtiger Pfeiler der Europäischen Union.

Im Frühjahr 2024 wird in Europa neu gewählt

Zeitdruck entsteht durch die im Frühjahr 2024 anstehende Europawahl. „Wir müssen darauf achten, dass wir auch die irreguläre Migration begrenzen“, sagte Faeser, die zu dem Treffen auch Vertreterinnen und Vertreter aus Italien, Frankreich und Belgien eingeladen hatte. Der italienische Innenminister Matteo Piantedosi nahm per Videokonferenz teil. „Es geht um ein Gesamtsystem aus Verantwortung auf der einen Seite und Solidarität auf der anderen Seite“, betonte Faeser.

Konkret geht es darum, dass Schutzsuchende in den EU-Staaten, in denen sie zuerst ankommen, verlässlich registriert werden. Idealerweise soll dort künftig auch schon geschaut werden, ob jemand überhaupt Aussicht auf eine Anerkennung als Flüchtling hat. Staaten mit EU-Außengrenzen wie Italien oder Malta sind dazu jedoch bislang nicht bereit. Sie pochen darauf, dass erst die Verteilung der Asylbewerber innerhalb Europas besser geregelt werden müsse.

Faeser: „Müssen irreguläre Migration begrenzen“

Bislang gibt es lediglich die freiwillige Übernahme weniger Asylbewerber durch einige Staaten – vor allem Deutschland. Faeser sagte, Deutschland habe über den Solidaritätsmechanismus 427 Menschen aus Italien und 93 Asylbewerber aus Zypern übernommen, weitere Übernahmen seien geplant. Italien blockiert seit einigen Wochen unter Verweis auf angebliche technische Probleme die Rücküberstellungen von in Italien registrierten Asylbewerbern.

Die Ministerin hatte sich in Berlin mit sechs europäischen Amtskolleginnen und -kollegen zu Gesprächen getroffen, um den Reformprozess der europäische Migrationspolitik anzustoßen. Zu Beginn der Gespräche hatte die Bundesinnenministerin gesagt: „Wir müssen darauf achten, dass wir auch die irreguläre Migration begrenzen.“ An dem Treffen nahmen Vertreterinnen und Vertreter aus Schweden, Italien, Frankreich, Spanien und Belgien teil.

Innenministerin Faeser hofft auf Reform der Asylpolitik

Faeser will eine Einigung zur geplanten Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems erzielen. Hintergrund sind die Vorschläge der EU-Kommission für eine Reform der Asyl- und Migrationspolitik vom September 2020, durch die ein langer Streit der Mitgliedsstaaten überwunden werden sollte. Beim Kern einer möglichen Reform – der Frage nach der Verteilung von Schutzsuchenden und anderen Formen der Solidarität – sind die 27 Mitgliedsstaaten noch weit von einer Lösung entfernt.

Konkret geht es darum, dass Schutzsuchende in den EU-Staaten, in denen sie zuerst ankommen, verlässlich registriert werden. Idealerweise soll dort auch schon geschaut werden, ob jemand überhaupt Aussicht auf eine Anerkennung als Flüchtling hat. Staaten mit EU-Außengrenzen wie Italien oder Malta sind dazu jedoch bislang nicht bereit. Sie pochen darauf, dass erst die Verteilung der Asylbewerber innerhalb Europas besser geregelt werden müsse. Bislang gibt es lediglich die freiwillige Übernahme weniger Asylbewerber durch einige Staaten – vor allem Deutschland.

FDP-Innenexperte Stephan Thomae fordert bessere Verteilung

Der Staatssekretär im schwedischen Justiz- und Innenministerium, Anders Hall, sagte noch vor dem Treffen, er sei überzeugt, dass eine Einigung von allen EU-Staaten sehr schwierige Kompromisse erfordern werde. „Es wird wahrscheinlich eine Lösung sein, wo keiner mit allem zufrieden ist, aber wo wenigstens alle gleichermaßen unzufrieden mit der gemeinsamen Lösung sind“, fügte er hinzu.

Vor dem Treffen hatte der FDP-Innenexperte Stephan Thomae eine bessere Verteilung der Schutzsuchenden gefordert. Faeser müsse alles dafür tun, dass es am Freitag in Berlin „nicht nur bei Gesprächen bleibt, sondern dass konkrete Ergebnisse dabei herauskommen“, sagte Thomae der „Welt“. Derzeit seien Flüchtlinge innerhalb der EU sehr unterschiedlich verteilt. „Das kann nicht so bleiben“, sagte der FDP-Politiker.

Deutschland hat als Zielstaat vieler Asylbewerber ein besonderes Interesse daran, dass die sogenannte Sekundärmigration innerhalb der Europäischen Union zurückgeht. Auch deshalb will Faeser noch vor der Europawahl im Frühjahr 2024 Fortschritte in dem seit Jahren weitgehend festgefahrenen Reformprozess erreichen. Staaten mit Außengrenzen wie Italien, wo viele Schutzsuchende mit Booten ankommen, wünschen sich mehr Solidarität von anderen Mitgliedsstaaten.

SPD-Fraktionsvize Wiese: Nicht jedes Land kann gleich viel leisten

Nicht jeder Mitgliedsstaat könne gleich viel leisten, sagte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese der „Welt“. „Mitgliedsstaaten, die keine Geflüchteten aufnehmen wollen, können wir auch keine aufnötigen.“ Denkbar sei, dass der Beitrag zu Solidarität auf anderem Wege geleistet werde, etwa durch ein stärkeres Engagement für Rückführungen. „Auch wäre eine Kopplung an finanzielle Mittel denkbar“, sagte Wiese. „Wer aufnimmt, bekommt mehr Mittel aus dem Haushalt.“ Ziel des Treffens am Freitag sei, „im persönlichen Gespräch Verständnis für die jeweiligen Positionen zu erlangen“.

Die Union warf Faeser vor, einen „migrationspolitischen Sonderweg“ zu bestreiten und sich Bemühungen um einen besseren Schutz der EU-Außengrenze zu verweigern. „Alle EU-Staaten sind längst so weit, dass sie die irreguläre Migration steuern und begrenzen wollen, nur Deutschland nicht“, sagte Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, dem Nachrichtenportal „t-online“.

Erik Marquardt: Abschreckung und Abschottung lösen das Problem nicht

Aus Sicht des Grünen-Europapolitikers Erik Marquardt lösen Abschreckung und Abschottung das eigentliche Problem nicht, dass zu wenige EU-Staaten Geflüchtete aufnehmen und Länder wie Deutschland deshalb besonders herausgefordert seien. „Deutschland muss eine Führungsrolle einnehmen in einer ‚Koalition des Zusammenhalts‘ von Staaten, die Geflüchteten helfen wollen“, forderte er bei „t-online“.

Im vergangenen Jahr wurden in den Staaten der Europäischen Union eine Million Asylanträge gestellt, so viele wie seit 2016 nicht. Hinzu kamen fast vier Millionen Menschen aus der Ukraine, die in der EU zwar keinen Asylantrag stellen müssen, aber auch weiterhin untergebracht und versorgt werden müssen.

Im Februar gingen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) 26.149 Asylanträge ein. Rund 24.000 davon betrafen Menschen, die erstmals in Deutschland einen Asylantrag stellten. Zum Vergleich: Im Februar 2022 waren es 13.915.

DPA/PSM.Media- Nachrichtenagentur, Foto: Flüchtlinge auf den Weg nach Deutschland (C) IStock