Handel, Hotels, Restaurants, Geschäfte – niemand zahlt mehr Miete

Anfang des Zusammenbruchs der Wirtschaft?
Berlin- Immer mehr Unternehmen weigern sich, ihre Mieten zu zahlen. Sie berufen sich auf die neuen Corona-Rettungsgesetze der Bundesregierung. Die Leidtragenden sind die Immobilienbesitzer – die nun ihrerseits vor Insolvenzen warnen.
Durch die weitgehende Stilllegung des öffentlichen Lebens in Deutschland sind die Einnahmen vieler Unternehmen versiegt. Die Folgen sind drastisch – und sie wirken sich immer stärker auch auf das gesamte Wirtschaftssystem aus. So versuchen die notleidenden Unternehmen nicht nur staatliche Hilfsprogramme in Anspruch zu nehmen, sondern auch ihre Kosten zu senken – und dabei sind Mietausgaben ein wesentlicher Hebel. Die Konsequenz: Immer mehr Betreiber von Restaurants, Hotels und Einzelhandelsgeschäften weigern sich, ihre Miete zu zahlen.
Die schwedische Modekette H&M hat bereits vergangene Woche ihre Vermieter informiert, alle Mietzahlungen für ihre 460 aktuell geschlossenen Standorte in Deutschland auszusetzen. Ähnliches planen nach Informationen des manager magazins auch zahlreiche andere Handels- und Hotelketten. Deutschlands größte Elektronikkette, Saturn und Media Markt, wird ab April keine Miete mehr überweisen; genauso die Schuhhandelskette Deichmann, die Juwelierkette Christ oder die 25hours-Hotels.
Bei Adidas hat Konzernchef Kasper Rorsted ebenfalls beschlossen, die fälligen Beträge für die meisten der weltweit 2500 eigenen Läden ab April nicht mehr zu überweisen. Das geschehe „vorsorglich“ und „temporär“, heißt es dazu bei Adidas. Der Konzern setzte im vergangenen Jahr 23,6 Milliarden Euro um und erzielte 2019 einen Gewinn von knapp 2 Milliarden Euro – beides neue Rekordwerte. Die Netto-Cash-Position bezifferte der Konzern Ende 2019 auf 873 Millionen Euro. Allerdings hatte bereits die Corona-Krise in China, dem größten Wachstumsmarkt, den Sportartikelkonzern erheblich getroffen: Rorsted sagte bereits Mitte März, er rechne für dieses Jahr wegen Corona mit Umsatzeinbußen von bis zu einer Milliarde Euro allein in China.
Die Schuhhandelskette Deichmann hat ihren Vermietern mitgeteilt, dass sie ihre Mietzahlungen „vorübergehend ab dem Monat April für die Dauer der behördlich angeordneten Zwangsschließungen“ aussetzen werde. Das sei „eine präventive Maßnahme, um die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit des Unternehmens zu erhalten“, heißt es bei Deichmann in Essen. Der Konzern mit zuletzt fast 6 Milliarden Euro Umsatz betreibt allein in Deutschland knapp 1500 Filialen.
Und der Textilhändler KiK schreibt in einem Brief an seine Vermieter, der manager magazin vorliegt: „In der Branche wird gegenwärtig geprüft, ob mit Beginn der behördlichen Schließungen seit Mitte März die Geschäftsgrundlage von Mietverträgen derart gestört ist, dass die Miete ggf. vollständig zu kürzen ist. Vor diesem Hintergrund sehen wir uns schweren Herzens – auch zu unserem persönlichen Schutz – gezwungen, zunächst die Miete für den Monat April einzubehalten.“
Andere Handelskonzerne wie Douglas prüfen, dem Beispiel zu folgen: „Wie viele andere Händler auch sprechen wir aktuell mit zahlreichen Vermietern und hoffen gemeinsam eine Regelung zu finden, um Mieten auszusetzen oder zu stunden“, sagt eine Sprecherin. Ähnlich äußert sich auch der Modehersteller Marc O’Polo.
Damit droht ein Flächenbrand, der sich längst nicht auf den Einzelhandel beschränkt. Auch Hotels und Restaurants verdienen kaum noch Geld und geben die Lasten weiter.
Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes, der 223.000 Unternehmen vertritt, die 2,4 Millionen Menschen beschäftigen und knapp 100 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaften, rät ihren Mitgliedern, den Dialog mit den Verpächtern zu suchen. Schließlich sei die Belastung für Hotels und Gaststätten besonders hoch, da verloren gegangener Umsatz nicht nachgeholt werden können. „Anders als etwa bei Konsumgütern gibt es nach Ende der Pandemie keinen Nachholbedarf“, so Hartges.
Die Hotelkette 25hours zahlt schon heute keine Pachten mehr, bestätigt Finanzchef Steffen Fox dem manager magazin. Thomas Wilms, CEO der Deutsche Hospitality, zu der die Steigenberger Gruppe gehört, wünscht sich eine Stundung der Pacht für mindestens drei Monate. Marco Nussbaum, Chef der Hotelkette Prizeotel, will in den Verhandlungen mit den Verpächtern erreichen, dass er die nächsten Monate nichts bezahlen muss. „70 bis 80 Prozent der Pacht“ will er dann über die nächsten Jahre Stück für Stück zurückzahlen.
Die Leidtragenden sind die Besitzer der Gewerbeimmobilien. Betroffen sind sowohl private Vermieter also auch große Immobilienbetreiber wie der Hamburger Shoppingcenter-Betreiber ECE, der in Besitz der Familie Otto ist, oder die börsennotierte Deutsche Euroshop. Ob sie sich gegen die Mietausfälle wehren können, ist unklar.
Am Mittwoch hatte der Bundestag beschlossen, dass Vermieter von der Corona-Krise betroffenen Mietern nicht kündigen dürfen, wenn diese keine Miete mehr zahlen können. Die Regelung gilt zunächst bis zum 30. Juni. Zwar bleibt die Verpflichtung zur Mietzahlung grundsätzlich bestehen, am Ende dürften viele Fälle jedoch vor Gericht landen, wenn die Bundesregierung nicht für Rechtssicherheit sorgt.
„Bei allem Verständnis für die Not vieler Mieter kann es nicht angehen, dass wirtschaftlich gesunde Großkonzerne ein Gesetz ausnutzen wollen, was für sie nicht gedacht war“, warnt Andreas Mattner vom Zentralen Immobilien Ausschuss. „Kurzfristig wird dies allerdings kaum rechtlich zu verhindern sein und daher viele kleine und große Vermieter an den Rand der Insolvenz bringen“, sagt Mattner, der auch Manager bei ECE ist, gegenüber dem manager magazin.
Wie lange die Wildwest-Phase andauert, ist unklar. „Wir gehen davon aus, dass es in dieser Frage in den nächsten zwei bis drei Wochen neue Regelungen gibt“, sagt Stephan Hungeling, Chef der Juwelierkette Christ. Hungeling hat seinen Vermietern ebenfalls angekündigt, ab April keine Miete zu bezahlen, um die eigene Liquidität zu schonen. Das Unternehmen sieht sich im Recht, da es die Mietobjekte aufgrund des Shutdowns nicht nutzen kann. „Viele Vermieter haben dafür auch Verständnis signalisiert“, sagt Hungeling. „Am Ende wollen beide Seiten partnerschaftliche Regelungen.“
Womöglich jedoch entwickelt sich die Zahlungsverweigerung, mit der sich Adidas und Co. letztlich einen Kredit beim Vermieter holen, zu einem teuren Bumerang. Zumindest dann, wenn sie die Zahlungen nachholen müssen. Einigen sich Mieter und Vermieter nicht auf abweichende Bedingungen, würden bei der Nachzahlung laut Gesetz derzeit gut 8 Prozent Zinsen fällig, sagt Wolfram Krüger, Partner der Großkanzlei Linklaters in Frankfurt und Experte für Immobilienrecht. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist hoch. Denn sei eine Schließung des Geschäftsbetriebs nicht direkt auf den Zustand der Immobilie zurückzuführen, trage laut Krüger der Mieter das Risiko.
Viele Konzerne spekulieren jedoch darauf, dass der Staat einspringen wird. So teilt etwa der Schuhhändler Deichmann, der allein in Deutschland 1200 Filialen betreibt, mit: „Wir erwarten von den politischen Verantwortlichen, dass die durch die Zwangsschließungen entstehenden Mietschäden für die beteiligten Vertragsparteien ersetzt werden.“
Ob die Rechnung aufgeht? Selbst wenn die Vermieter nicht auf den Mietrückständen sitzen bleiben sollten, so dürften die Corona-Folgen dennoch schmerzhaft für sie werden. Die Frequenzrückgänge in Einkaufszentren und Innenstädten hatten schon vor der Krise dazu geführt, dass viele Handelskonzerne wie Douglas und C&A bei ihren Vermietern mit der Forderung um Nachlässe vorstellig geworden sind. Nun könnte eine drohende Pleitewelle das Dilemma verschärfen. Die Deutsche Euroshop hat bereits ihre Aktionäre auf ein schwieriges Jahr eingeschworen und die Auszahlung der Dividende gestrichen.
„Wird dem mittelständischen Einzelhandel in dieser existenzbedrohenden Lage nicht unverzüglich über Soforthilfen unter die Arme gegriffen, werden wir unweigerlich einen sprunghaften Anstieg der Leerstände und eine flächendeckende Verödung des Wirtschaftsstandorts Innenstadt erleben“, sagt Michael Reink, Bereichsleiter Standortpolitik beim Handelsverband HDE. „Damit riskieren wir nicht nur wirtschaftliche, sondern auch soziale Verwerfungen, die wir uns gerade in dieser angespannten Lage nicht leisten können.“
manager magazin new media GmbH, 28.03.2020, Foto: Berlin Friedrichstraße © Ralf Genge