Frankreich: Chirurg soll fast 300 Kinder sexuell missbraucht haben

Frankreich: Chirurg soll fast 300 Kinder sexuell missbraucht haben
Systembild: Gerichtsszene des Prozesses gegen Joël Le Scouarnec © PSM

Missbrauchsskandal in Frankreich: Prozess gegen Ex-Chirurg mit fast 300 Opfern beginnt

Ein beispielloser Justizfall erschüttert das Land

Ein massiver Missbrauchsskandal erschüttert Frankreich: Der ehemalige Chirurg Joël Le Scouarnec hat sich zu den Vorwürfen geständig bekannt, fast 300 Kinder missbraucht zu haben. Der Prozess gegen den 74-Jährigen, der am Montag vor Gericht in Vannes begann, könnte einer der größten Missbrauchsprozesse in der Geschichte Frankreichs werden.

Geständnis vor Gericht

Le Scouarnec legte zu Prozessbeginn ein Geständnis ab: „Ich habe abscheuliche Taten begangen. Ich bin mir heute bewusst, dass diese Verletzungen unauslöschlich sind“, erklärte er. Der frühere Arzt, der Jahrzehnte in verschiedenen Krankenhäusern gearbeitet hatte, missbrauchte seine Opfer unter dem Vorwand medizinischer Untersuchungen oder während Narkosebehandlungen.

Opfer fordern Anerkennung ihres Leids

Die 299 mutmaßlichen Opfer waren im Durchschnitt elf Jahre alt. Viele von ihnen erfuhren erst als Erwachsene, was ihnen widerfahren war. „Auch wenn man es vergessen hat, bleibt das Trauma. Ich lebe bis heute mit den Folgen“, erklärte ein Nebenkläger vor Prozessbeginn.

Die Opfer fordern insbesondere die Anerkennung ihres Leids durch die Justiz. „Ich habe Angst, ihn zu sehen, obwohl ich so sehr auf diesen Tag gewartet habe“, sagte die heute 42-jährige Amélie Lévêque, die mit neun Jahren während einer Blinddarmoperation missbraucht worden sein soll.

Tagebuch als zentrales Beweisstück

Die Ermittler fanden bei einer Hausdurchsuchung umfangreiches belastendes Material: Neben rund 300.000 kinderpornografischen Fotos und Videos entdeckten sie detaillierte Tagebücher, in denen Le Scouarnec seine Taten minutiös dokumentierte. In den Aufzeichnungen beschreibt er, wie er sich an Jungen und Mädchen verging – teils im Krankenzimmer, teils auf dem Operationstisch.

Behördenversagen im Fokus

Obwohl einige Vorgesetzte und Kollegen wussten, dass der Arzt bereits früher wegen Kinderpornografie verurteilt worden war, konnte er weiter in verschiedenen Kliniken tätig sein. Dies hat nun ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen möglicher Versäumnisse der Gesundheitsbehörden und Krankenhausleitungen ausgelöst.

Parallelen zum Fall Gisèle Pelicot

Der Fall erinnert an den Skandal um den Serienvergewaltiger Dominique Pelicot, der erst im Dezember 2023 verurteilt wurde. Während es im Pelicot-Prozess ein Opfer und 51 Täter gab, ist es im aktuellen Fall umgekehrt: Ein Täter mit fast 300 Opfern.

Prozessverlauf und mögliche Strafe

Le Scouarnec muss sich nun wegen 111 Vergewaltigungen und 189 sexueller Übergriffe verantworten. Ihm drohen bis zu 20 Jahre Haft. 256 der 299 mutmaßlichen Opfer waren jünger als 15 Jahre, darunter auch ein einjähriges Kind.

Der Prozess ist auf vier Monate angesetzt. Rund 40 Nebenkläger haben beantragt, Teile der Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden zu lassen. Der Angeklagte war bereits 2020 zu 15 Jahren Haft verurteilt worden, weil er in den 90er Jahren vier Mädchen missbraucht hatte. Erst eine Hausdurchsuchung im Zuge dieses Verfahrens brachte das volle Ausmaß seiner Taten ans Licht.

Ein Fall, der Frankreich erschüttert

Der Missbrauchsskandal um Joël Le Scouarnec zeigt die fatalen Versäumnisse der Justiz und des Gesundheitswesens auf. Das Verfahren wird nicht nur von juristischem, sondern auch von gesellschaftlichem Interesse sein, da es Fragen nach der Verantwortung von Institutionen aufwirft.

Die Dimension des Falls und die darin verwickelten Strukturen machen ihn zu einem der brisantesten Prozesse der letzten Jahrzehnte – mit weitreichenden Konsequenzen für das französische Justiz- und Gesundheitssystem.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur AP