Kilian Kerner rührt mit DDR-Kollektion zu Tränen

Kilian Kerner konfrontiert mit seiner DDR-Kollektion ein verdrängtes Trauma: „Wo sind unsere Kinder?“
Berlin. Mode trifft Mahnung: Der Berliner Designer Kilian Kerner sorgt mit seiner neuen Kollektion auf der Berlin Fashion Week 2025 für Aufsehen und für Gänsehaut. Unter dem Titel „DDR. Die gestohlenen Kinder“ widmet er sich einem kaum aufgearbeiteten Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte: den Zwangsadoptionen in der DDR.
„Ein Baby wird für tot erklärt und zur Adoption freigegeben“
Vor acht Jahren sah Kilian Kerner eine Dokumentation, die sein Leben veränderte. Es ging um Eltern, denen in der DDR ihre neugeborenen Kinder weggenommen wurden angeblich tot, tatsächlich aber zur Adoption freigegeben. Eine staatlich organisierte Lüge, die traumatisierte Eltern und zerbrochene Biografien zurückließ.
Seither lässt ihn das Thema nicht mehr los. „Ich war schockiert und tief berührt, dass es so etwas gibt“, sagt der Designer heute. Und er tat, was er als Kreativer tun kann: Er machte es sichtbar auf der größten Bühne, die ihm zur Verfügung steht.
Keine gewöhnliche Modenschau sondern eine stille Anklage
In der Uber Arena dominierte nicht nur Mode, sondern Erinnerung. Ein Wachturm schwebte über dem Catwalk, auf den Monitoren flackerte: „Achtung, Sie verlassen jetzt Westberlin“. Modelle trugen breite 80er-Jahre-Schnitte, Glitzerstoffe aber auch düstere Symbolik: Ein Mann im grauen Anzug hält eine Babypuppe im Arm.
Zum Finale marschieren Frauen und Männer mit Kapuzenpullovern und der Aufschrift „Wo sind unsere Kinder?“ über den Laufsteg. In der Hand: selbstgeschriebene Plakate. „Wo bist du?“ „Aufarbeitung jetzt!“ „Wir wollen unsere Akten!“
Warum Mode? Warum er?
„Ich weiß, dass das Fragen aufwirft“, sagt Kilian Kerner. „Was hat Mode mit Zwangsadoptionen zu tun?“ Seine Antwort ist klar: „Ich mache dieses Thema aus tiefstem Herzen.“
Seit Jahren recherchiert Kerner, steht im Austausch mit dem Verein Gestohlene Kinder der DDR. Nach dessen Angaben soll es bis zu 15.000 Fälle angeblich verstorbener Säuglinge und etwa 10.000 Zwangsadoptionen gegeben haben. Bisher offiziell aufgeklärt: fünf Fälle.
Politisch motivierte Kindeswegnahmen und ein Staat, der schweigt
Zahlreiche Kinder wurden in staats- und parteitreue Haushalte vermittelt mit dem Ziel, sie im Sinne des Sozialismus zu erziehen. Der Bundestag forderte 2019 die Aufklärung. Eine zentrale Bundesstelle wurde geschaffen, eine Studie läuft doch belastbare Ergebnisse sind erst 2026 zu erwarten.
Offiziell spricht man von „politisch motivierter Kindeswegnahme“, oft in Verbindung mit dem Vorwurf des „asozialen Verhaltens“ oder einem Ausreiseantrag.
80er-Jahre-Mode als Zeitzeugnis
Kerner setzt das Thema bewusst in den Kontext der 1980er-Jahre. Die Zeit, in der viele dieser Verbrechen geschahen. Denim, Grau, Glitzer Symbole einer Ära voller Widersprüche.
„Ich habe gedacht: Wie soll ich das mit Glamour verbinden? Aber dann habe ich gesehen die DDR hatte Glamour. Viel Glitzer, viel Inszenierung. Das hat mich fasziniert.“
Mehr als Mode: Eine Forderung nach Gerechtigkeit
Kilian Kerner will mit seiner Show nicht provozieren, sondern sensibilisieren. Und er hat konkrete Forderungen:
– Zugang zu Adoptionsakten für betroffene Eltern
– Einrichtung einer DNA-Datenbank
– Mut zur Aufarbeitung statt politischem Schweigen
Es gehe nicht um PR, betont er. Nicht um Geld. Nicht um Schuldzuweisungen.
„Wenn sich zehn weitere Fälle klären lassen, war es das alles wert.“
Wenn Mode zur Stimme wird, die man nicht ignorieren kann
Mit seiner Kollektion hat Kilian Kerner eine Grenze überschritten nicht modisch, sondern moralisch. Er hat sich eingemischt. Und damit etwas angestoßen, was über den Laufsteg hinausreicht.
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- Eigene Recherche