Metformin-Aus? EU-Regel bedroht Diabetes-Medikament

Metformin in Gefahr: Neue EU-Richtlinie bedroht Diabetes-Medikament
Wenn Umweltpolitik zur Gesundheitskrise wird
Stell dir vor, dein wichtigstes Medikament verschwindet – nicht, weil es unwirksam ist, sondern weil es „zu billig“ ist. Genau das droht Millionen Menschen mit Typ-2-Diabetes. Metformin, das seit Jahrzehnten bewährte und günstige Standardmedikament, steht vor dem Aus. Und Schuld ist ausgerechnet eine neue EU-Abwasserrichtlinie.
Was als umweltpolitische Maßnahme gedacht war, könnte sich zu einer sozial- und gesundheitspolitischen Katastrophe auswachsen.
Was Metformin so besonders macht
Metformin ist das Arbeitstier der Diabetes-Therapie. Es senkt zuverlässig den Blutzuckerspiegel, schützt das Herz-Kreislauf-System – und das zum Preis eines Cappuccinos. Gerade einmal 5,12 € kostet eine Dreimonatspackung. Für über 2,9 Millionen Patienten in Deutschland ist es der stille Retter im Alltag.
Doch seine größte Stärke – der Preis – wird nun zur Schwäche. Denn günstige Medikamente haben kaum Spielraum für zusätzliche Kosten.
EU-Richtlinie mit Nebenwirkungen: Umweltziel trifft Gesundheitsrealität
Die neue EU-Abwasserrichtlinie (UWWTD) verpflichtet Hersteller, sich an der Finanzierung einer zusätzlichen Reinigungsstufe in Kläranlagen zu beteiligen. Das Ziel: Mikroschadstoffe wie Medikamentenrückstände besser aus dem Abwasser filtern. Eine sinnvolle Idee – doch die Umsetzung hat es in sich.
Für Metformin würden die Umweltkosten laut dem Analysehaus IQVIA bis zu 445 % der aktuellen Herstellungskosten betragen. Da der Preis gesetzlich gedeckelt ist, dürfen die Hersteller das nicht an Patienten oder Kassen weitergeben.
Die Folge: Rückzug vom Markt. Zentiva und Sandoz, zwei große Generikahersteller, stellen bereits erste Überlegungen dazu an.
Was das für Patienten und Kassen bedeutet
Ein Ende von Metformin würde nicht nur die Lebensqualität vieler Patienten massiv verschlechtern. Auch die Krankenkassen müssten tief in die Tasche greifen. Das Berliner IGES-Institut schätzt die jährlichen Mehrkosten auf bis zu 1,5 Milliarden Euro – das Vierfache der heutigen Ausgaben.
Die Alternativen? Teurer, oft zum Spritzen, und mit mehr Nebenwirkungen: Gliflozine, Glutide, Insulin. Besonders ältere Menschen könnten unter dieser Umstellung leiden – nicht nur finanziell, sondern auch gesundheitlich.
Metformin ist nur der Anfang
Metformin steht stellvertretend für ein viel größeres Problem. Auch essenzielle Medikamente wie Amoxicillin (Antibiotikum) oder Tamoxifen (Brustkrebs) könnten betroffen sein. Die EU-Regel gefährdet die gesamte Generikaversorgung – und könnte eine Produktionsabwanderung nach Asien beschleunigen.
Umwelt gegen Versorgungssicherheit – ein unlösbarer Widerspruch?
Umweltschutz ist wichtig – keine Frage. Aber darf er auf dem Rücken chronisch kranker Menschen ausgetragen werden? Pharmafirmen fordern pragmatische Lösungen, z. B. eine Finanzierung über Abwassergebühren statt Herstellerabgaben. Polen klagt bereits vor dem EuGH – weitere Länder könnten folgen.
Gesundheit braucht Augenmaß
Metformin ist mehr als nur ein Medikament – es ist ein Fundament der modernen Diabetesbehandlung. Die neue EU-Richtlinie droht dieses Fundament zu zerstören. Jetzt braucht es politischen Mut, kreative Lösungen – und vor allem eine ehrliche Debatte über die Balance zwischen Umwelt und Versorgungssicherheit.
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- spiegel.de