Impfgipfel Bund-Länder- Priorisierung soll spätestens Ende Juni enden

Impfgipfel ohne Beschlüsse
Berlin – Die bisherige Priorisierung bei den Impfungen gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 soll nach Darstellung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spätestens im Juni fallen. Das sagte die Kanzlerin heute nach Beratungen mit den Ministerpräsidenten der Länder. „Das heißt nicht, dass dann jeder sofort geimpft werden kann“, sagte Merkel. Aber dann könne sich jeder um einen Impftermin bemühen, und die würden dann nach Maßgabe der Versorgung auch vergeben. Das Versprechen, bis zum 21. September hätte jeder, der wolle, ein Impfangebot, bestätigte Merkel.
In vielen Bundesländern seien bereits die Prioritätengruppen I und II geimpft, sagte Merkel weiter. Die Gruppe III sei in vielen Ländern geöffnet. Im Großen und Ganzen gehe man davon aus, dass diese Gruppe im Mai die erste Impfung erhalten werde, „so dass wir dann spätestens, je nachdem wie viele Impfdosen wir bekommen, ab Juni – aber ich sage nochmals: spätestens – die Priorisierung aufheben können“.
Den Juni hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bereits vor einigen Tagen als mögliches Datum genannt. Grund sei, dass die Impfkampagne durch die Beteiligung der niedergelassenen Ärzte schnelle voran komme, hieß es. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) erklärte, dass „wir noch lange die Impfzentren“ benötigen, gerade wenn viele junge Menschen geimpft werden sollen.
Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder hatte bereits vor dem Gipfel angeregt, schon im Mai alle Impfstoffe komplett freizugeben und auch Schüler ab 16 Jahren vermehrt zu impfen. Damit konnte er sich heute offenbar nicht durchsetzen. Es sei aber eine „MPK der Hoffnung“ gewesen, so Söder. Man werde bei vielen Themen nun schneller.
Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, sprach sich heute anlässlich des Gipels für eine Aufhebung der Priorisierung aus. „So wichtig diese zu Beginn war, so wichtig ist es jetzt, die Breite der Bevölkerung sehr schnell zu impfen. Herdenimmunität bekommen wir nur, wenn wir nicht nur Alte und Hochbetagte impfen, sondern vor allem die Menschen mit vielen Kontakten“, sagte er der Rheinischen Post.
Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Klaus Reinhardt, plädierte ebenfalls dafür, jüngere Menschen bei der Impfpriorisierung stärker in den Blick zu nehmen und eventuell vorzuziehen. „Das ist unter Umständen unter epidemiologischen Gesichtspunkten eine vernünftige Überlegung“, sagte er dem TV-Sender Phoenix.
Die Bevölkerungsgruppe der über 60-Jährigen sei zu einem großen Teil geimpft, sagte er. „Wir sind nun an einem Punkt, wo wir uns überlegen müssen, gehen wir weiter rückwärts von oben kommend? Oder aber könnte man die Strategie fahren zu sagen: Wir impfen jetzt die Jungen, die zwar in der Regel nicht schwer erkranken, aber die natürlich viel unterwegs sind, in die Schulen und in die Kitas gehen sollen“, begründete Reinhardt seine Anregung.
Keine konkreten Ergebnisse
Abgesehen von dem möglichen Datum für die Freigabe der Impfpriorisierung gab es heute keine Ergebnisse oder Beschlüsse beim Impfgipfel von Bund und Ländern. Eine kontroverse Diskussion fand offenbar darüber statt, welche Grundrechte in Abwägung zur Gleichbehandlung von nicht geimpften Menschen die Geimpften und Genesenen erhalten sollen. Einig wurde sich die Runde heute nicht.
Die Diskussion soll in einer Verordnung münden. Im Mai solle die Debatte abgeschlossen sein, kündigte Müller, der derzeit auch Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz ist, an. Die Entscheidungskompetenz liegt bei dem Thema zwar beim Bund. Allerdings war in der verabschiedeten Novelle des Infektionsschutzgesetzes festgelegt worden, dass Bundestag und Bundesrat solchen Änderungen zustimmen müssen. Eine Einigung ist also notwendig. Die Verordnung könnte als Paragraf 28c in das Infektionsschutzgesetz aufgenommen werden.
Diskussion um Eckpunktepapier
Den Aufschlag zum Impfgipfel hatte die Bundesregierung gestern mit einem Eckpunktepapier gemacht, das heute die Grundlage für die Gespräche von Bund und Ländern bildete. Für vollständig gegen COVID-19 Geimpfte und für Genesene soll es nach Auffassung der Bundesregierung gewisse Ausnahmen von den geltenden Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen geben.
In dem Eckpunktepapier mit Plänen des Bundes, heißt es, was Einreiseregelungen angehe sowie den Zugang zu Ladengeschäften und bestimmten Dienstleistungen sollten Menschen, die gegen COVID-19 geimpft sind, und Genesenen dieselben Ausnahmen eingeräumt werden, die bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von über 100 für negativ auf das Coronavirus Getestete gelten. Bei Einreisen aus Virusvariantengebieten sollen allerdings keine Erleichterungen gewährt werden.
„Abhängig von der Entwicklung der Infektionslage, der Impfquote und der wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Ansteckungsgefahr von Geimpften, Genesenen und Getesteten, werden perspektivisch weitere Ausnahmen von Schutzmaßnahmen vorzunehmen sein“, wird in dem Eckpunktepapier festgehalten. Die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung oder das Abstandsgebot würden jedoch auch für Geimpfte, Genesene und Getestete noch für einen längeren Zeitraum weiter gelten.
Konkret wird vorgeschlagen, für den Bereich von Kontaktbeschränkungen sollten Ausnahmen für die mit einem in der EU zugelassenen Vakzin Geimpften und für Genesene vorgesehen werden, insbesondere in Gemeinschaftseinrichtungen wie Alten- und Pflegeheimen.
„Auch im Bereich der Ausgangsbeschränkungen sollen entsprechende Ausnahmen vorgesehen werden“. Ein Anspruch auf die Öffnung bestimmter Einrichtungen – etwa Museen oder Schwimmbäder – ergibt sich nach Einschätzung der Bundesregierung aus den für Geimpfte und Genesene festzulegenden Ausnahmen aber nicht.
Als Genesene sollen demnach Menschen gelten, „die ein mindestens 28 Tage zurückliegendes positives PCR-Testergebnis nachweisen können“. Dies gelte bis zu sechs Monate nach der Feststellung der Genesung, da solange von einem ausreichenden Immunschutz ausgegangen werden könne.
In dem Papier wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich bei Erleichterungen und Ausnahmen für bestimmte Personengruppen nicht um die Einräumung von Sonderrechten oder Privilegien handele, „sondern um die Aufhebung nicht mehr gerechtfertigter Grundrechtseingriffe“.
Grundlage für das Papier sind Aussagen des Robert-Koch-Institutes (RKI). Das hatte Mitte April erklärt, nach gegenwärtigem Kenntnisstand sei das Risiko einer Virusübertragung durch vollständig Geimpfte spätestens ab dem 15. Tag nach Gabe der zweiten Impfdosis – beziehungsweise bei dem Impfstoff von Johnson & Johnson nach der Gabe der ersten und einzigen Impfdosis – geringer als bei Vorliegen eines negativen Schnelltests bei Infizierten ohne Symptome.
Auch zu den Grundrechten gab es heute im Vorfeld des Treffen eine Diskussion. „Wenn feststeht, dass eine Impfung nicht nur vor einer Erkrankung schützt, sondern auch die weitere Übertragung des Virus verhindern kann, muss das bei den Maßnahmen berücksichtigt werden“, sagte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) dem Handelsblatt. Dies sei kein Privileg für Geimpfte, sondern ein Gebot der Verfassung.
Lambrecht verwies auf die Neuregelung des Infektionsschutzgesetzes. Danach sei die Bundesregierung ausdrücklich dazu ermächtigt worden, „besondere Regelungen, Ausnahmen und Erleichterungen für Personen festzulegen, bei denen von einer Immunisierung gegen das Coronavirus auszugehen ist“.
Es sei höchste Zeit, dass bei den Bund-Länder-Beratungen die Freiheitsrechte für Geimpfte auf den Tisch kommen, sagte der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Konstantin Kuhle. Ihm sei unverständlich, „warum die Bundesregierung mit ihren Vorschlägen erst nach der Verabschiedung der sogenannten Bundesnotbremse aus der Deckung kommt“.
BÄK-Präsident Reinhardt plädierte dafür, Geimpften mehr Freiheiten zu geben. Er sei „absolut“ für diesen Schritt, „wenn ausreichend Menschen in unserer Gesellschaft geimpft sind und wir feststellen, dass die Inzidenzzahlen dadurch rückläufig sind.“
„Jemandem, der geimpft ist, seine Grundreche weiter zu entziehen, halte ich rechtlich für sehr schwierig und medizinisch für kaum begründbar“, sagte der KBV-Chef Gassen.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: „Es ist selbstverständlich und zwingend, dass Menschen, die durch ihre Impfung nicht oder nur mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit Überträger des Virus sein können, nicht eingeschränkt werden.“
„Für Geimpfte sollte es bald keine Tests und keine Quarantäne mehr geben bei Urlaubsreisen“, sagte Bundesverkehrsinister Andreas Scheuer (CSU). Bisher gilt bei Flugreisen bei der Rückkehr nach Deutschland eine Testpflicht, bei der Rückkehr aus Ländern mit hohen Coronazahlen müssen Reisende in Deutschland in Quarantäne gehen.
CDU-Vize Julia Klöckner sagte, Geimpfte sollten Freiheitsrechte, die die zeitweilig eingeschränkt worden seien, schnell wiedererlangen. Auf die Frage, ob die Menschen in den Sommerurlaub fahren könnten, antwortete sie: „Ich bin zuversichtlich. Nichtsdestotrotz müssen wir uns dann auch die Fakten anschauen.“ Klöckner ergänzte: „Denn am Ende wollen wir ja vorankommen und nicht wieder Schritte zurückfallen.“
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