Europa plant für Nato ohne USA

Europa rüstet sich – aber wogegen eigentlich? Und vor allem: Warum erst jetzt?
Es klingt wie ein Weckruf – und doch kommt er spät, vielleicht zu spät. In Brüssel, Paris, Berlin und London bereitet man sich zunehmend auf ein Szenario vor, das vor wenigen Jahren noch undenkbar schien: Europa ohne den militärischen Schutz der Vereinigten Staaten. Kein transatlantischer Schulterschluss mehr, keine sicherheitsstrategische Rückendeckung aus Washington. Nur wir. Allein.
Doch wer trägt daran die Schuld? Ist es wirklich nur Donald Trump, der den Rücken kehrt – oder hat Europa selbst dazu beigetragen, dass das Bündnis bröckelt?
Die Quittung für jahrzehntelange Bequemlichkeit?
Seit Jahren schon fordern US-Präsidenten – nicht nur Trump – mehr Engagement von ihren europäischen Partnern. Mehr Investitionen in Verteidigung, mehr Eigenverantwortung, weniger Abhängigkeit. Doch statt zuzuhören, reagierte man oft mit Spott, Arroganz oder moralischer Überheblichkeit. Gerade in Deutschland war man schnell dabei, den populistischen US-Präsidenten verbal abzukanzeln – aber vergaß dabei, dass die Beziehungen nicht auf Sympathie, sondern auf strategischer Vernunft beruhen.
Jetzt also der Schock: Die USA könnten ernst machen. Und Europa? Beginnt hektisch Pläne zu schmieden – für den Fall, dass der große Bruder nicht mehr hilft. Laut Financial Times arbeiten mehrere Staaten bereits an einem Konzept, das die Hauptverantwortung für die Verteidigung auf europäische Schultern verlagern soll. Informell, aber zunehmend konkret. Ein Plan, der beim NATO-Gipfel im Juni vorgestellt werden könnte.
Die „Koalition der Willigen“ – Symbol der Unsicherheit?
Mehr als 30 Länder wollen laut britischer Regierung bereit sein, eine Waffenruhe in der Ukraine zu sichern – ohne US-Beteiligung. Das klingt mutig. Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich: Es geht weniger um Stärke als um Schadensbegrenzung. Denn Trumps zeitweilige Blockade von Militärhilfen an Kiew war ein Warnsignal. Und das Vertrauen in Washington – ohnehin angeschlagen – schwindet weiter.
Gleichzeitig bleibt unklar, wie ernst die europäische Einigkeit wirklich ist. Sind wir tatsächlich bereit, Milliarden in unsere Sicherheit zu investieren? Eine eigene Armee aufzubauen? Atomare Abschreckung selbst zu organisieren? Oder bleibt es bei symbolischen Debatten und Absichtserklärungen?
Der Preis der Prinzipien
Frankreich bietet an, seinen nuklearen Schutzschirm auszuweiten. Großbritannien übernimmt Führungsrollen. Doch viele EU-Staaten zögern – auch, weil sie nicht genau wissen, ob sie sich gegenseitig wirklich vertrauen können. Und währenddessen fragt sich mancher in den USA: Warum sollen wir ein Europa verteidigen, das uns mit hochgezogener Augenbraue begegnet, wenn es um unsere innenpolitische Ausrichtung geht?
Vielleicht ist der Rückzug Amerikas nicht allein Trumps Laune. Vielleicht ist es eine logische Konsequenz europäischer Ignoranz.
Ohne Rückhalt, ohne Illusionen
Die Vorstellung, Europa könne seine Verteidigung ganz ohne Amerika regeln, klingt heroisch – aber sie ist riskant. Ja, es gibt Strukturen, ja, es gibt Potential. Aber es fehlt an Ehrlichkeit: Wer über Eigenverantwortung spricht, muss auch bereit sein, unbequeme Entscheidungen zu treffen – und endlich aus dem Schatten jahrzehntelanger US-Garantiepolitik zu treten.
Die Frage ist nicht nur, ob wir es können – sondern ob wir es wirklich wollen.
Und vor allem: Ob wir aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Denn Freundschaft – auch geopolitisch – ist keine Einbahnstraße. Und Respekt ist keine Selbstverständlichkeit.
Was denken Sie? Ist Europa bereit für diesen Schritt? Schreiben Sie uns Ihre Meinung.
- merkur.de