Bunter Protest am 18. November 2020 in Berlin
Am nächsten an die Abgeordneten in ihren Büros heran gelangten die Demonstrierenden der Initiative „Eltern stehen auf“. Sie hatten gemeinsam mit der Bewegung „Studenten stehen auf“ aufgerufen, auf der Marschallbrücke, nahe dem „Jakob-Kaiser-Haus“ des Bundestages, zu protestieren. Es dürften mehrere Tausend gewesen sein, die in den mehr als sechs Stunden kamen und gingen und zum Teil von der Polizei nicht durchgelassen wurden.
Einfache Wünsche
Auf der Brücke war es im Vergleich zum Geschehen am Brandenburger Tor ruhig, wenn auch nicht weniger engagiert und der Protest gegen das geplante Gesetz nicht weniger intensiv. Zahlreiche Menschen ergriffen zum Teil spontan das Mikrofon auf der kleinen mobilen Tribüne und erklärten, warum sie nach Berlin kamen. Die Motive, warum sie gegen die weitgehenden Grundrechtseingriffe durch das Gesetz demonstrierten, waren vielfältig. Eine Mutter las aus dem Brief ihrer Tochter an den Weihnachtsmann vor:
„… Dann wünsche ich mir, dass Corona aufhört und ich wünsche mir, dass ich keine Maske im Bus aufsetzen muss. Ich möchte meine Freunde wieder besuchen. …“
Eine Studentin sagte: „Viel mehr können die uns nicht wegnehmen, wenn das heute durchgeht.“ Sie sehe schwarz für ihre Generation und die noch Jüngeren, „die noch alles vor sich haben“. Sie sagte den Älteren unter den Teilnehmenden:
„Gebt nicht auf, denn die Jüngeren stehen jetzt auch langsam mit Euch auf.“
Das wurde mit Beifall, Jubel und Trommeln quittiert. Ein Redner nannte die verantwortlichen Politiker „Verbrecher, die uns das heiligste Gut nehmen wollen, nämlich unsere Freiheit“. Für ihn sind die Proteste der letzten Monate gegen die Anti-Corona-Politik der Regierenden die „wichtigsten Demonstrationen, die die BRD jemals erlebt hat“. Immer wieder skandierten die Menschen auf der Brücke „Frieden – Freiheit“ und „Freiheit – Frieden“. Ebenso riefen sie wie vor dem Brandenburger Tor „Wir sind das Volk“, diese Parole der Proteste im Herbst 1989 in der DDR.
Absurde Erlebnisse
Der Akrobat Paul hat bis 2020 an der Hochschule für Zirkuskünste in Brüssel studiert, wie er auf der Bühne erzählte. Er berichtete aus eigenem Erleben, welche Folgen die Corona-Krise und die politisch verordneten Maßnahmen für die Kunst- und Kulturschaffenden haben. Dazu gehören Absurditäten: Er mache mit einer Partnerin Wurfakrobatik, so Paul. Ihnen sei für ihre Abschlusspräsentation gesagt worden, die könnten sie machen, solange sie den Abstand von 1,50 Metern einhalten.
Er müsse mehrere Stunden am Tag trainieren, was aber wieder nicht möglich sei. Für den Akrobaten ist es unverständlich, dass für den Schutz einer Minderheit die Mehrheit der Gesellschaft in den Bankrott getrieben und Existenzen zerstört werden. Er rechnet damit, dass die Einschränkungen noch Jahre anhalten – „wenn sich nicht schlagartig etwas ändert“.
Die Pädagogin Michaela berichtete davon, dass ihr auf dem Weg zur Demonstration auf einem S-Bahnhof das Attest für die Maskenbefreiung von der Polizei abgenommen wurde. Das Papier sei „definitiv gefälscht“ und sie begehe eine Straftat damit, hätten die Beamten erklärt. Der mögliche Anruf bei der ausstellenden Ärztin sei nicht erfolgt. Sie könne derzeit ihren Beruf an einer Berliner Grundschule nicht ausüben, weil sie sich weigere, als „Diktatorin“ die Kinder zu zwingen, eine „Mund-Nasen-Bedeckung“ zu tragen.
Klare Anliegen
Vor allem Eltern, die selbst in medizinischen Einrichtungen arbeiten und die Wirkung der Masken kennen, würden darauf mit Verständnis reagieren. Dagegen würden einige Kinder andere als „Verweigerer“ denunzieren, auch sie als Lehrerin. Die Schulleitungen seien von der zuständigen Berliner Senatsverwaltung ermächtigt worden, Kindern, die das Maskentragen verweigern, Bußgelder anzudrohen. In der Schulkonferenz zum Schuljahresbeginn habe die Leitung diskutiert, wie jene Kinder gekennzeichnet werden könnten, die durch ein Attest von der Maskenpflicht befreit sind. „Das finde ich ziemlich krank“, sagte die Pädagogin dazu.
„Es entwickelt sich eine sehr kaputte Gesellschaft und dem kann ich nicht mehr zuträglich sein.“
„Dieses Ermächtigungsgesetz kann nicht im Sinne unserer Demokratie sein“, sagte mir der 67-jährige Torsten Brandes. Der pensionierte Banker aus Hamburg trug eine Maske nach dem Modell der Pestmasken aus dem Mittelalter. Er wolle damit aufs Korn nehmen, was derzeit geschehe: „So etwas gab es ja schon einmal. Wer an Masken glaubt, dem hilft das vielleicht auch.“ Das Handeln seines ehemaligen Berufskollegen Jens Spahn, heute Bundesgesundheitsminister, kommentierte er so: „Er hat wohl keine Ahnung von dem, was er macht. Die höherwertigen Rechte des Grundgesetzes kann man nicht mit den Füßen treten, wie er es macht.“
„Das darf nicht sein, dass wir so in unseren Grundrechten beschnitten werden“, empörte sich Liane Gerstel (Jahrgang 1970) aus Gifhorn in Niedersachsen. Wenn die Impfflicht mit dem neuen Gesetz komme, sollen sich die verantwortlichen Politiker zuerst impfen lassen, forderte sie. „Die sollen ihre Nebenwirkungen in ihre schöne App eintragen.“ Für sie handelt es sich bei der auf den unzuverlässigen PCR-Tests gestützten Anti-Corona-Politik um „Lug und Trug“. Ihre Motive, mit zu demonstrieren, beschrieb sie so: „Ich will unsere Kinder schützen. Ich will nicht, dass wir geimpft werden. Und ich will nicht, dass das Grundgesetz geändert wird.“
Spätes Erwachen
Die freie Dozentin für Ernährungswissenschaft berichtete, dass sie seit März keine Aufträge habe, weil sie die Maskenpflicht ablehne. „Ich bin das erste Mal in meinem Leben auf einer Demo“, gestand die in der DDR aufgewachsene Frau. „Leider habe auch ich viel zu lange geschlafen. Erst als mir die Schulen sagten, ich sollte gegenüber meinen Zuhörenden die Maskenpflicht durchsetzen, bin ich aufgewacht.“ Was sie derzeit erlebe, komme ihr sehr bekannt vor, sagte sie mit Blick auf die DDR 1989.
„Ich war schon einmal zu spät. Ich will nicht wieder zu spät sein. Ich will jetzt kämpfen.“
Ebenfalls in der DDR hat der 88-jährige Physiker Horst Aden einen Großteil seines Lebens verbracht. Was er heute erlebe, sei schlimmer als das, was die Staatspartei SED sich in dem untergegangenen Land erlaubt habe, sagte er mir. Zuvor hatte er den Demonstrierenden auf der Brücke berichtet, warum er trotz der politischen und medialen Kampagne keine Angst um seine Gesundheit habe. Dabei gehöre er ja mit seinem hohen Alter zur sogenannten Hochrisikogruppe.