Merkel bei Biden – Zu Gast bei neuen alten Freunden

Angela Merkels Besuch bei Joe Biden symbolisiert den Neustart der Beziehungen zwischen den USA und Deutschland
Washington. Angela Merkel dürfte ihre Washington-Reise mit einer gewissen inneren Ruhe antreten. In der US-Hauptstadt wird die deutsche Bundeskanzlerin an diesem Donnerstag nicht wie in den vergangenen Jahren vom krawallfreudigen Rechtspopulisten Donald Trump empfangen, sondern vom auf Kooperation und Ausgleich bedachten Transatlantiker Joe Biden.
Merkels wohl letzter Besuch im Weißen Haus symbolisiert auch die Renaissance der deutsch-amerikanischen Beziehungen nach dem Ende der Amtszeit Trumps. Hatte Trump Deutschland und andere wichtige Verbündete immer wieder vor den Kopf gestoßen, setzt Biden auf eine Reparatur des Verhältnisses zu den traditionellen Partnern. Multilaterale Zusammenarbeit statt Konfrontation, Allianzen statt Alleingänge lautet die Devise des 78-Jährigen.
Die Freude über den Abtritt von Trump ist dabei in beiden Regierungen überall spürbar. Bereits in den vergangenen Wochen waren schon Wirtschaftsminister Peter Altmaier, Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und Finanzminister Olaf Scholz zu Besuch in Washington. Und alle berichteten von einem neuen Geist der Zusammenarbeit mit der Biden-Regierung. „Die Sonne scheint wieder über den deutsch-amerikanischen Beziehungen“, sagte Altmaier.
Nord Stream 2 bleibt Thema
Aber die freundlichen Worte dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass gerade zwischen Deutschland und den USA viele Probleme bleiben. So werden Merkel und Biden etwa darüber sprechen, wie der Streit um den Bau der Nord-Stream-2-Gaspipeline durch die Ostsee beigelegt werden kann. Während Deutschland darauf beharrt, dass die Pipeline in Betrieb gehen soll, um mehr russisches Gas unter Umgehung der Ukraine nach Westeuropa zu bringen, lehnen die USA dies ab. „Biden steht hier auch innenpolitisch unter Druck“, warnt Peter Beyer, der Transatlantik-Koordinator der deutschen Bundesregierung. Dank den Fortschritten, die in einer gemeinsamen Verhandlungsgruppe erzielt wurden, dürften die angedrohten US-Sanktionen gegen Deutschland aber zunächst einmal vom Tisch sein.
Massive Differenzen gibt es – ungeachtet der Beschwörung der westlichen G7-Industrieländer, dass man gegenüber China gemeinsam auftreten wolle – auch bei anderen Wirtschaftsthemen. „Unter Biden ist der Ton freundlicher geworden. Aber auch er betreibt eine protektionistische Politik,“ meint der Politologe und US-Experte Josef Braml. So haben die EU und die USA zwar den Streit um Subventionen für Flugzeugbauer beigelegt. Aber die USA haben ihre einseitig verhängten Strafzölle auf Stahl- und Aluminium-Importe aus der EU beibehalten – auch weil sie bei demokratischen Wählern populär sind. Die von Merkel angestrebte WTO-Reform kam unter Biden bisher ebenfalls nicht voran.
Merkel als „lame duck“?
Große Unzufriedenheit hat sich in Europa zudem über die restriktive US-Corona-Einreisepolitik aufgebaut – vor allem weil sich die EU längst wieder für US-Amerikaner geöffnet hat. „Wir sind der meist geimpfte Kontinent“, kritisiert Transatlantik-Koordinator Beyer. Der Austausch sei auch wichtig, weil deutsche Firmen hunderttausende Jobs in den USA sicherten. Die US-Regierung wiederum hatte sich in der Corona-Krise für die Freigabe der Patente auf Impfstoffe eingesetzt – was Deutschland strikt ablehnt. Merkel wird in Washington deshalb mit Protesten konfrontiert werden.
Viel zu bereden haben Merkel und Biden dann auch mit Blick auf Konfliktregionen wie Afghanistan, in dem die radikalislamischen Taliban inmitten des Abzugs der westlichen Truppen auf dem Vormarsch sind, und die Ukraine, wo Washington und Berlin eine anhaltende russische Destabilisierung anprangern.
Beim sozialdemokratischen Koalitionspartner dämpft man allerdings die Erwartungen an die Visite. „Meine Erwartungen sind gering“, sagt der außenpolitische Sprecher der SPD, Nils Schmid, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Der Besuch in den USA sei vor allem vor dem Hintergrund von Merkels bevorstehenden Abschied aus dem Amt zu sehen. „Der US-Administration dürfte bewusst sein, dass sie die strittigen Fragen nicht mehr mit Merkel klären muss, sondern mit der künftigen Bundesregierung“, sagt Schmid.
afp/reuters/presse.online, Foto: Systembild Bundeskanzlerin Angela Merkel © EPA-EFE/STEPHANIE LECOCQ